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    Ist der Einsatz von Potenzialanalysen noch zeitgemäß?

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    Potenzialanalysen sind in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts in Mode gekommen. Ein längerer Hype spülte viele Instrumente und Ansätze auf den boomenden Markt. Plötzlich war jeder Persönlichkeitstest eine „Potenzialanalyse“. Doch wo Potenzialanalyse darauf stand, war nicht immer Potenzialanalyse drin. Viele Anbieter haben den Trend vor allem für das eigene Geschäft genutzt. Das hat dazu geführt, dass einige Unternehmen die Erfahrung machen durften, dass Potenzialanalysen keine Probleme lösen, im schlimmsten Fall sogar Probleme verursachen. Jedenfalls wurde der Begriff Potenzialanalyse „beschädigt“.

    Zurück zu unserer Einstiegsfrage. Ist der Einsatz von Potenzialanalysen heute noch zeitgemäß? Die Antwort lautet eindeutig JA. Potenzialanalysen sind hilfreich und nützlich.
    Voraussetzung dafür sind:

    – eine angemessene („relevante“) Fragestellung
    – ein professionelles Verfahren und
    – ein „sauberer“ Diagnostikprozess

    Im Folgenden werde ich auf die ersten beiden Punkte näher eingehen. Zum Diagnostikprozess wird in Kürze ein eigener Artikel erscheinen.

    Was ist eine relevante Fragestellung für den Einsatz von Potenzialanalysen?

    Berufliche Diagnostik beginnt mit der Definition von Anforderungen. Jede berufliche Anforderung lässt sich den drei Ebenen Potenzial, Kompetenz und Performance zuordnen. Potenziale gehen aus den Anlagen und Talenten hervor, mit denen wir auf die Welt kommen. Jeder Mensch hat besondere Begabungen, etwas, das ihn auszeichnet und von den anderen unterscheidet. Dazu kommen Ausstattungsmerkmale, die im durchschnittlichen Bereich liegen. Selbstverständlich gibt es bei jeder Person auch Merkmale, die mit weniger Talent versehen sind. Die Zeitspanne einer menschlichen Existenz reicht nicht aus, um diese große Anzahl von Talenten, die in jedem Menschen schlummern, nur annähernd kennenzulernen. Wir lernen in der Regel die Talente und Anlagen kennen, die in unserer Umgebung gefordert werden.

    Potenziale sind die Teilmenge von Anlagen und Talente, die für bestimmte (leistungsorientierte) berufliche Kontexte relevant sind. Aus Potenzialen werden durch Lernerfahrungen Kompetenzen. Je höher das Potenzial, desto weniger Lernerfahrung ist für das Erreichen eines bestimmten Kompetenzniveaus notwendig. Wenn wir uns mit der Frage „hat eine Person ausreichendes Potenzial“ beschäftigen, geht es in Wahrheit um eine ökonomische Betrachtung. Anders formuliert lautet die Fragestellung: „Hat eine Person ausreichend Potenzial, um mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen (Begleitung seitens Umfeld und Vorgesetzter, Lernschritte,…) in einer gewünschten Zeit ein bestimmtes Kompetenzniveau zu erreichen?“
    Eine relevante Fragestellung für den Einsatz einer Potenzialanalyse ist immer dann gegeben, wenn es darum geht, herauszufinden, wie viel noch nicht genutztes Potenzial für eine neue Anforderung vorhanden ist.

    Am häufigsten begegnet uns die Frage nach vorhandenem, noch nutzbaren Potenzial, bei SpezialistInnen, die einen guten Job machen, also gut „performen“. Die Frage lautet: „Sind diese auch in der Lage, mehr Verantwortung/ Führungsverantwortung zu übernehmen?“

    Wie kann man bei Potenzialanalysen die Spreu vom Weizen trennen?

    Ich werde die Kriterien, die die Qualität einer Potenzialanalyse bestimmen, im Ranking ihrer Bedeutsamkeit vorstellen.

    Eine Potenzialanalyse muss wirklich wirklich Potenziale messen

    Wirklich wirklich „Potenziale“ zu messen ist diagnostisch anspruchsvoll. Es setzt ein passendes theoretisches Modell voraus. Wie oben ausgeführt sind Potenziale Anlagen, (noch) keine Kompetenzen und können daher nicht mit den klassischen verhaltensorientierten Instrumenten gemessen werden. Dazu als Illustration: Das Führungspotenzial (ganz allgemein) steht im direkten Verhältnis zum Interesse für MENSCHEN (Arbeit in Beziehungen). Potenziale im Bereich der sozialen Kompetenz stehen in Verbindung mit Bedürfnisstrukturen (Gemeinschaft, Gerechtigkeit, Macht und Dominanz, Autonomie,…).
    Tipp 1: Eine Potenzialanalyse sollte in der Lage sein, Interessens-, Bedürfnis- und Motivationsstrukturen zu messen.
    Darüber hinaus kann über das noch nutzbare Potenzial nur Auskunft gegeben werden, wenn man sich auch das bereits realisierte Kompetenzniveau ansieht.

    Multimethodaler Ansatz in der Diagnostik

    Häufig werden zum Zwecke der Potenzialanalyse Persönlichkeitstests eingesetzt. Sie haben ihre Vorzüge in der Ökonomie. Der größte Nachteil liegt darin, dass sie durch die „strukturelle bewertende Ergebnisdarstellung“ so etwas wie Objektivität vortäuschen. Ein Persönlichkeitstest ist immer nur eine „Selbsteinschätzung“. Das Ergebnis sagt uns, wie sich eine Person im Vergleich zu anderen Personen der Vergleichspopulation einschätzt. Eine Selbsteinschätzung ist eine Selbsteinschätzung und nur eine Selbsteinschätzung!
    Tipp 2: Verwenden Sie multimethodales Vorgehen
    Professionelle Diagnostik misst Potenziale auf unterschiedlichen Wegen. Hilfreiche Instrumente sind beispielsweise tiefenpsychologische, biographische Analysen oder strukturierte Interviews (die mit dem Persönlichkeitstest abgestimmt sind).Wenn Sie mit einem externen Anbieter zusammenarbeiten: meiden Sie Anbieter die den Persönlichkeitstest in den Mittelpunkt rücken.

    Wissenschaftliche Fundiertheit, zeitgemäße Normen

    Bei einem Persönlichkeitstest ist die wissenschaftliche Basis wichtig. Neben den Kriterien der klassischen Testtheorie kann ein Test auch die Kriterien der modernen Testtheorie (Rasch-Homogenität) erfüllen. Darüber hinaus sollte man Augenmerk auf die wissenschaftliche Entwicklung über die Jahre und die Berücksichtigung von zeitgemäßen Anforderungen in beruflichen Kontexten legen.
    Tipp 3: Bei Auswahl orientierten Fragestellungen sind zwecks dem Ausschalten der sozialen Erwünschtheit Forced Choice Vorgabeformate zu verwenden. Ein weiterer wesentlicher Punkt sind die Normen. Ein Persönlichkeitstest sollte mit aktuellen Normen hinterlegt sein.

    Übereinstimmung mit dem Anforderungsprofil

    Eine Potenzialanalyse sollte sich an die Fragestellung/ die Anforderungen des Unternehmens anpassen. Das beginnt beim Persönlichkeitstest und betrifft auch alle anderen eingesetzten Instrumente.
    Tipp 4: Professionelle Anbieter sind in der Lage, die Anforderungen in ein angemessenes Potenzialanalyse Verfahren zu übersetzen. Ich empfehle im Bereich der Konzeption/ Planung der Potenzialanalyse möglichst früh mit Anbietern zusammenzuarbeiten. So können die Kunden von der Erfahrung und dem Wissensschatz am meisten profitieren.

    Transparenz und Akzeptanz

    Diese beiden Kriterien können erst im Nachhinein evaluiert werden. Denken Sie von Beginn weg mit, wie Sie die Wirkung und den Nutzen für die TeilnehmerInnen und die EntscheiderInnen „sichtbar machen“ können. Eine gut eingeführte und durchgeführte Potenzialanalyse generiert „Erkenntnisgewinn“ bei den TeilnehmerInnen, „Verständnis-Gewinn“ bei den Vorgesetzten und unterstützt durch Dialogprozesse die Kulturentwicklung im Unternehmen.
    Tipp 5: Planen Sie die Evaluation von Beginn weg mit. Harte Zahlen, Daten und Fakten unterstützen die weitere Professionalisierung der HR-Arbeit.

    Mag. Alfred Lackner

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